Stade. Es geht um Gold. 13 Läuferinnen und Läufer machen sich auf dem Tartanplatz hinter dem Vincent-Lübeck-Gymnasium bereit für den Startschuss. Die meisten laufen heute mit doppeltem Gummiprofil: Am Turnschuh und am Rollator.
„Hey, eine Runde schaffen wir noch!“ Wencke Delekat ist in ihrem Element. Gemeinsam mit einem Stader Seniorenheim, dem VfL Stade und dem Stader Gymnasium hat sie einen Sportlauf für Senioren organisiert. Das Ziel: Im eigenen Tempo so lange zu laufen wie möglich. Mittendrin auch Schülerinnen und Schüler, die selbst mitlaufen und die Senioren lautstark anfeuern.
Nach 60 Minuten ist Schluss. Auf dem Platz gibt es nur Gewinner: Viermal Bronze, viermal Silber und fünfmal Gold. Die älteste Läuferin auf dem Platz ist 93 Jahre alt.
„Alte Menschen landen schnell in Schubladen“
„Der Spaß hatte heute Vorrang“, sagt Wencke Delekat im Nachgang. Die gebürtige Staderin ist Ergotherapeutin und arbeitet seit über zehn Jahren mit Senioren. „Mein Ziel ist es, dass ältere Menschen so lange selbstständig bleiben wie möglich“, sagt Delekat. Denn alt heiße nicht krank.
Früher habe sie als Leiterin des Sozialen Dienstes in einem Pflegeheim gearbeitet. 2023 hat sie sich dann mit einem Konzept für Seniorensport selbstständig gemacht. In ihrem Arbeitsfeld gebe es einen „riesengroßen Bedarf“, sagt sie. Empowerment für Senioren sei ihr Steckenpferd. Denn in unserem Gesundheitssystem sei hierfür leider kein Platz. „Alte Menschen landen schnell in einer Schublade“, kritisiert Delekat.
Wencke Delekat spricht aus eigener Erfahrung. Mit 16 Jahren hatte sie einen schweren Autounfall. Die Folge: Ein Schädelhirntrauma mit halbseitiger Lähmung. Nach Aufenthalten im Krankenhaus und in einer Reha-Klinik setzte sich Delekat das Ziel, ihr Abitur zu machen. Die Verantwortlichen hätten sie nur belächelt. „Menschen mit deinem Krankheitsbild arbeiten in der Behindertenwerkstatt“, habe sie zu hören bekommen. Ihr Abitur habe sie trotzdem gemacht, nur etwas langsamer als die anderen.
Auch Senioren haben einen inneren Schweinehund
Die Motivation hinter dem Sport sei immens wichtig. „Ich sollte mit einem Mann Treppensteigen üben“, erinnert sie sich. Im Gespräch fand sie dann heraus: Er wollte sich sein Bier wieder selbst aus dem Keller holen. Im Alter sei der muskuläre Aufbau schwierig, vor allem an Rumpf und Beinen. Deshalb will Delekat Senioren zum Sport motivieren. „Der innere Schweinehund wächst nicht raus, nur weil man älter wird“, sagt sie.
Wencke Delekat ist froh, dass der VfL Stade und das VLG sie beim Laufabzeichen unterstützen. Andere Veranstaltungen wie das Seniorensportfest seien wegen des Personalmangels in den Heimen derzeit nicht umsetzbar. VLG-Schulleiter Rouven Wauschkies lobt die Idee. Durch das Einbinden der Schüler gäbe es auf dem Sportplatz ein Treffen der Generationen. „Nur wenige Kinder haben regelmäßig Kontakt zu älteren Menschen außer den eigenen Großeltern“, sagt der Schulleiter.
Schüler im direkten Kontakt mit Senioren
Der Schulsanitätsdienstes beaufsichtigt unter AG-Leiter Henning Kriete den Lauf. „Wir haben unsere Schüler gut darauf vorbereitet“, sagt er. Normalerweise versorgt der Sanitätsdienst nämlich nur Schüler. „Eine der ersten Fragen war: Machen die das mit dem Rollator?“, erinnert sich Kriete. Auch den Umgang etwa mit Demenzkranken hätten sie thematisiert.
Schülerinnen des Vincent-Lübeck-Gymnasiums kommen nach dem Lauf mit den Senioren ins Gespräch.
Lore Norgall drehte auch ihre Runden auf dem Tartanplatz. Die Idee von Wencke Delekat finde sie gut und die Schüler seien alle lieb, sagt die 80-Jährige. Sie selbst motiviere auch gerne Mitbewohner zum gemeinsamen Spaziergang. „Bei uns im Heim gibt es genügend Leute, die den ganzen Tag nur drinnen sitzen“, sagt sie. Für die Heimbewohnerin war Sport schon immer ein wichtiger Teil ihres Lebens: „Ich war früher Geräteturnerin in Hollern-Twielenfleth.“